Sie sind hier

15. März 2018

Soweit die Karten tragen – CarSharing mit Mobilitätskarten

InnoZ GmbH

Mobilitätskarten als Zugang zum CarSharing, Nahverkehr und zu weiteren Angeboten gelten als gelebte Kooperation. Doch wie viele Karten dieser Art gibt es in Deutschland und welche CarSharing-Formen sind damit nutzbar? Eine Untersuchung für die Jahre 1998 bis 2015 zeigt die hohe Verbreitung stationsbasierter wie auch kombinierter CarSharing-Formen auf Mobilitätskarten. CarSharing nach dem Prinzip Free-floating und Peer-to-Peer ist hingegen kaum vertreten. Die Anzahl und Verbreitung von Mobilitätskarten sind verglichen mit der Gesamtzahl an CarSharing- und ÖV-Kunden gering. Ein Grund liegt auch in den abweichenden rechtlichen Rahmenbedingungen der Anbieter.

Von Christian Scherf

Eine Möglichkeit, Nutzerinnen und Nutzern die Übergänge zwischen CarSharing und weiteren Mobilitätsangeboten zu erleichtern, ist die Mobilitätskarte. Diese unterscheidet sich von einer herkömmlichen CarSharing-Karte dadurch, dass sie nicht nur ein elektronischer Autoschlüssel ist, sondern z. B. auch als Ticketträger im öffentlichen Verkehr (ÖV) oder zum Entriegeln von Leihfahrrädern dient.

Für einen kundenfreundlichen Einsatz von Mobilitätskarten sind zunächst die unterschiedlichen Dienstleistungen und umgebenden Marktbedingungen der beteiligten Anbieter zusammenzubringen. Damit die Nutzung reibungslos funktioniert, müssen sich die Dienstleister auf die Eigenschaften der Karte verständigen und mindestens für die Geltungsdauer des Kartenangebots zusammenarbeiten. Abweichende Rechtsrahmen und Handlungsspielräume können die Kooperationen zwischen den Unternehmen innerhalb und außerhalb des öffentlichen Verkehrs erschweren.

CarSharing bei allen untersuchten Mobilitätskarten vorhanden

Für meine Doktorarbeit zu den Chancen und Grenzen von Mobilitätskarten untersuchte ich 21 Mobilitätskarten, die in den Jahren 1998 bis 2015 in Deutschland angeboten wurden. Um mehr über die Herausforderungen und Hemmnisse unter den Anbietern herauszufinden, führte ich von August 2014 bis Februar 2016 insgesamt 28 Interviews mit Kartenentwicklern und -herausgebern aus elf Bundesländern. Davon waren sieben Befragte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von CarSharing-Anbietern. Die übrigen Befragten gehörten mehrheitlich Betrieben oder Verbünden des ÖV an. Jede der 21 untersuchten Karten beinhaltete den Leistungsbaustein CarSharing in einer bestimmten Ausprägung: Vorherrschend war die stationsbasierte Variante, bei der die Autos an definierten Plätzen buchbar sind und nach der Nutzung an denselben Ort zurückgestellt werden. Diese CarSharing-Variante war mit 18 der 21 Karten nutzbar. Die Variante Free-floating war mit acht Karten nutzbar. In sechs dieser acht Fälle wurden zum Zeitpunkt  der Untersuchung beide Varianten auf derselben Karte angeboten. Davon wurden wiederum bei drei Karten beide Varianten durch das gleiche Unternehmen angeboten: stadtmobil in Hannover und Rhein-Neckar sowie Stadtteilauto OS in Osnabrück (siehe Tabelle).

* Angebot vor Einführung des Free-floating-CarSharing eingestellt ** seit November 2015 auch inkl. stationsbasiertem CarSharing

In der Befragung der Unternehmensvertreter wurde deutlich, wie stark sich das CarSharing innerhalb des 17-jährigen Untersuchungszeitraums verändert hat. Heute bestehen weitaus mehr Möglichkeiten, CarSharing technisch in Mobilitätskarten zu integrieren, als noch um die Jahrtausendwende. Bemerkenswert ist aber auch, dass die technische Grenze der Einbindung anfangs eher beim Nahverkehr lag, der um das Jahr 2000 meist noch keine E-Tickets einsetzte, als beim CarSharing, das seinen Mitgliedern vergleichsweise früh Chipkarten anbot. Die Vorreiter waren hierbei u. a. StadtAuto Bremen und stadtmobil CarSharing in Dresden. Doch neben den technischen Möglichkeiten, hat sich auch die subjektive Wahrnehmung unter den Anbietern gewandelt: 1998 war einem Befragten zufolge das Carsharing für ÖV etwas Neues und noch lange nicht der vielerorts vertraute Partner von heute. Frühe Mobilitätskarten leisteten daher Pionierarbeit in der Kooperation zwischen CarSharing und Nahverkehr. Hervorzuheben sind hierbei die die Bremer Karte plus AutoCard aus dem Jahr 1998 und die Berliner BVG metrocard von 1999, die allerdings nur für vergleichsweise kurze Zeit angeboten wurden. Als besonders langlebig erwies sich hingegen die Karte HANNOVERmobil, die seit 2004 durchgehend bis heute erhältlich ist.

Einen Anlass für die Neuerscheinung von Mobilitätskarten bildete in den letzten Jahren das CarSharing von Automobilunternehmen, welches jedoch ausschließlich in Großstädten anzutreffen ist – u.a. als Bestandteil der Karten in Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart. Aktuelle Neustarts sind aber nur teilweise auf diesen Impulsgeber zurückzuführen. Als weitere Treiber sind die Versuche städtischer Betriebe und Verwaltungen auszumachen, mit „Bürgerkarten“ öffentliche Leistungen regional zu bündeln. Beispielsweise soll die Stuttgarter PolygoCard neben CarSharing mit Stationen und im Free-floating auch städtische Leistungen wie Bibliotheken beinhalten. Kunden der Stuttgarter Straßenbahnen können die PolygoCard darüber hinaus als Geldkarte nutzen. Damit streben die Städte u. a. die Neukundengewinnung für den örtlichen ÖV, die Erschließung neuer Vertriebswege und ein innovatives Image an. Weiterhin werden aber auch in mittelgroßen Städten Mobilitätskarten eingeführt, die den örtlichen ÖV mit „alteingesessenen“ CarSharing-Anbietern verbinden. Beispiel hierfür sind z. B. die marego Abo-Trumpfkarte in Magdeburg, die Einfach-mobil-Karte in Offenburg und die VRN-Mobilitätskarte in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Auch die Politik fördert Mobilitätskarten: Ähnlich dem länger bestehenden Umweltzeichen „Blauer Engel für CarSharing“ wurde ein „Blauer Engel für Mobilitätskarten“ eingeführt und im Jahr 2014 erstmals vergeben. Die Karten HANNOVERmobil, Mobilkarte und Leipzig mobil tragen aktuell das Siegel und erfüllen die Kriterien für Umweltentlastung durch Verringerung von CO2, Schadstoffen, Lärm und Ressourcenverbrauch.

Stationsbasiertes CarSharing und ÖV-Abos sind die häufigste Angebotskombination

Die folgende Abbildung zeigt die Häufigkeit, mit der unterschiedliche Angebotsbausteine über Mobilitätskarten potenziell miteinander kombinierbar sind (ungeachtet der tatsächlichen Inanspruchnahme durch die Nutzer). Die Farbe und Stärke der Linien deuten die Häufigkeit der Kombinationen über alle untersuchten Mobilitätskarten an. Auffallend ist, dass vor allem ÖV-Abonnements und das stationsbasierte CarSharing mittels Karten kombinierbar sind. Auch Fahrradvermietsysteme sind als Ergänzung der CarSharing-ÖV-Kooperationen in vielen Fällen integriert. Weitaus seltener sind hingegen Angebote des klassischen Mietwagengewerbes oder des Peer-to-Peer-CarSharing zwischen Privatleuten eingebunden.

Abbildung 1: Häufigkeit der vorkommenden Leistungskombinationen (Stand Mai 2015, n = 13 Karten; Quelle: InnoZ GmbH; Grafik: Mahoma Niemeyer)

Die spezifischen tariflichen und technischen Ausgestaltungen sind je nach Anbieterkonstellation und örtlichen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich. Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob die Karten als Angebotspaket separat zu bestehenden ÖV-Tickets verkauft werden (optionale Karten) oder im Zuge einer umfänglichen Umstellung von Papier- auf E-Tickets mit eingeführt werden (obligatorische Karten). Bei optionalen Karten ist die Verbreitung meist gering. In der Regel liegt die Anzahl der im Markt befindlichen optionalen Karten nicht höher als im drei- bis niedrigen vierstelligen Bereich. Die Zahlen der ausgegebenen obligatorischen Karten liegen bedeuteten höher, insbesondere dann, wenn Abo-Bestandskunden des ÖV mit entsprechenden Karten ausgestattet werden. Beispiele hierfür sind das eTicket Rhein-Main und die PolygoCard in Stuttgart. Bei der KolibriCard in Schwäbisch Hall oder der PlusCard in Münster erfolgte der Einstieg über ÖV-Gelegenheitsprodukte. Der Einsatz im ÖV lässt allerdings noch keine Rückschlüsse darauf zu, inwieweit die teilweise vergünstigen Kartenangebote auch außerhalb des ÖV genutzt werden. Einzelne Nachfragen bei den an Mobilitätskarten beteiligten CarSharing-Anbietern lassen vermuten, dass auch hier die Nutzungsintensität vergleichen mit der Zahl der ÖV-Nutzungen gering ist. Gleichwohl kann eine gemeinsame Mobilitätskarte die Ausgangsbasis sein, die Kooperationen zwischen CarSharing und Nahverkehr auszubauen, um zukünftig z. B. integrierte Angebote auf Basis von Smartphone-Apps zu entwickeln. Eine solche Entwicklung ist etwa im Rahmen des Angebots Leipzig mobil zu beobachten.

Über Mobilitätskarten zum gemeinsamen Mobilitätsmarkt?

Als Fazit der Befragung und weiterführender Recherchen ist folgendes festzuhalten: Die geringe Nachfrage nach Mobilitätskarten scheint nicht alleine mit mangelnder Nutzerakzeptanz erklärbar, denn sie ist ein anbieter- und ortsübergreifendes Phänomen. Ursachen für die vergleichsweise geringe Verbreitung liegen auch in den strukturellen Unterschieden der Anbieter begründet, die für alle untersuchten Karten gelten. Die reine Aneinanderreihung vorhandener Leistungen reicht alleine nicht aus, um dem Endnutzern nahtlose Mobilität zu verschaffen. Zur Hebung zusätzlicher Mehrwerte empfiehlt sich, neben neuen Leistungskombinationen wie E-CarSharing oder flexible Shuttledienste, auch das Hinwirken auf eine Harmonisierung der Rahmenbedingungen. Während der ÖV aufgrund der gesetzlichen Genehmigungspflichten kaum zur Rabattierung oder Flexibilisierung seiner Angebote in der Lage ist, gestalten CarSharing-Unternehmen ihre Stationsstandorte und Angebotsgrenzen unter Gesichtspunkten der aktuellen Nachfrage. Abstimmung und Aufrechterhaltung gemeinsame Angebotsräume bzw. Leistungsumfänge für Mobilitätskarten werden dadurch erschwert. Eine Angleichung der Regulierung kann dies ändern: Auf der einen Seite könnten die für den ÖV geltenden Pflichten der Personenbeförderung, etwa die Betriebs- und Beförderungspflicht, gelockert werden, um die Kunden- und Marktorientierung zu stärken. Auf der anderen Seite könnte das CarSharing durch integrierte Angebote an Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge beteiligt und entsprechend finanziell gefördert werden. Gemeinsame Angebote bieten dabei gute Ansatzpunkte zur Erprobung neuer Aufgabenverteilungen in ausgewiesenen Experimentierräumen.


Über den Autor:

Bild: InnoZ/Fotograf Sebastian KnothChristian Scherf studierte Soziologie und Verkehrswesen an der Technischen Universität Berlin. Er arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Im Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) erlebte er die Entwicklung von Mobilitätskarten, über die er anschließend promovierte. Die vollständige Untersuchung ist auch als Buch erschienen:

Christian Scherf, "Volle Fahrt à la carte? – Mobilitätskarten als Vermittlungsversuche zwischen sozialen Welten", oekom verlag, München, 632 Seiten, broschiert, 34,95 Euro, ISBN: 978-3-96238-038-0. Auch als E-Book erhältlich.

Teile des Textes erschienen bereits in der Erstausgabe des InnoZ Mobilitätsmonitor.