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6. März 2023

Langfrist-Verkehrsprognose: Eine (weitere) verpasste Chance für die Verkehrspolitik des Bundes

Bundesverkehrsminister Wissing hat am vergangenen Freitag die sogenannte „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“ für die Entwicklung des Verkehrs bis zum Jahr 2051 vorgestellt. Dabei betonte er vor allem eines: Wir werden mehr Verkehr bekommen und deswegen müssen wir mehr Verkehrswege bauen – auch mehr Straßen. Wie armselig das ist, zeigt ein Blick in seine eigenen Präsentationsunterlagen.

In der Präsentation des Ministers wird darauf hingewiesen, dass die gleitende Langfrist-Verkehrsprognose ein „mögliches Zukunftsbild“ ist, aber „keine Zielprognose“. Genau: Die Verkehrsprognose soll darüber informieren, welche Maßnahmen und Entwicklungen welche Effekte auf den Verkehr der Zukunft haben könnten und wo weitere Maßnahmen nötig sind, um unerwünschte Entwicklungen zu vermeiden. Die Prognose ist keineswegs das "So-ist-es" der Verkehrspolitik, als das Wissing sie gern verkaufen möchte.

Die Langfrist-Verkehrsprognose hat ambitionierte verkehrspolitische Prämissen

Die verkehrspolitischen Maßnahmen, die als Prämissen in die Verkehrsprognose eingeflossen sind, haben es überraschenderweise durchaus in sich. Nachlesen kann man das in einer Präsentation, in der die Autor*innen über ihr Vorgehen informieren. Da steht unter anderem:

  • Im Personenverkehr wird bei der Eisenbahn die vollständige Umsetzung des Zielfahrplans des Deutschlandtakts im Jahr 2051 unterstellt.
  • Im kommunalen ÖSPV und für die Radverkehrsinfrastruktur wird ein massiver Ausbau unterstellt, um Verlagerungen vom MIV zu ermöglichen.
  • Als Kompensation für sinkende Energiesteuereinnahmen wird die Einführung von Pkw-Straßenbenutzungsgebühren in Höhe von 5 ct/km unterstellt.
  • Bei den Parkkosten wird ebenfalls ein spürbarer Anstieg unterstellt, flankiert von einer Reduzierung des Angebots an öffentlichen Stellflächen.
  • In den Städten wird unterstellt, dass die Zonen, in denen Tempo 30 gilt, deutlich ausgeweitet werden. Auf allen Durchgangs- und Hauptverkehrsstraßen ist aber weiterhin Tempo 50 (oder höher) angenommen.
  • Die Neuzulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ist ab dem Jahr 2035 als weitgehend nicht zulässig unterstellt.
  • In den Städten ist die Einrichtung von Nullemissionszonen als möglich angenommen.
  • Bei der Lkw-Maut wird die Umsetzung einer CO2-Komponente angenommen.

Und ja, da steht auch: „Die Verkehrsinfrastruktur wird in allen Verkehrsmitteln als bedarfsgerecht ausgebaut angenommen. Das umfasst für die drei Verkehrsträger mit Bedarfsplänen die Umsetzung des kompletten Vordringlichen Bedarfs des Bundesverkehrswegeplans 2030.“ Aber das ist eben nur eine weitere Annahme - nicht das Ergebnis der Prognose.

Die Verkehrsprognose zeigt: Verkehrspolitische Maßnahmen haben Wirkung

Die meisten verkehrspolitischen Maßnahmen, die als Prämissen der Verkehrsprognose genannt werden, adressieren die Verlagerung von Pkw-Verkehr auf andere Verkehrsmittel. Und siehe da: In der Langfrist-Prognose stagniert der Pkw-Verkehr bei steigendem Gesamtverkehrsaufkommen auf hohem Niveau - immerhin. Im straßengebundenen Güter- und Flugverkehr arbeitet die Verkehrsprognose hingegen weitgehend mit den erwarteten Wachstumszahlen. Eine verkehrspolitische Strategie fehlt. Diese Sektoren wachsen folgerichtig in der Prognose überproportional und ungebremst weiter.

Wer zieht die verkehrspolitischen Lehren?

Bei diesem Gesamtergebnis würde ein verantwortungsvoll agierender Bundesverkehrsminister vermutlich vorschlagen, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um das Verkehrsaufkommen in bestimmten Bereichen zu reduzieren oder auf klimafreundliche und energiesparende Verkehrsmittel zu verlagern.

Im Personenverkehr müssten weitere, ambitionierte Maßnahmen ergriffen werden, damit mehr Pkw-Verkehr auf Bus, Bahn und Fahrrad verlagert wird. Die Vorschläge dafür, vom Tempolimit auf Autobahnen bis zur Förderung des CarSharing, liegen auf dem Tisch. Im Bereich des Güterverkehrs müsste eigentlich eine Strategie gefunden werden, wie das erwartete Wachstum der Online-Logistik in eine flächen- und energieeffiziente sowie klimaneutrale Verkehrsentwicklung umgelenkt werden kann.

Aber Volker Wissing interessieren solche Sachfragen nicht. Für ihn ist die langfristige Verkehrsprognose nur eine weitere Möglichkeit, seine Koalitionspartner zu ärgern und das zunehmend chaotische Profil seiner Partei zu bearbeiten. Deswegen beschränkt Wissing sich auf die Botschaft, dass wir mehr Straßen brauchen. Dass selbst die in der Verkehrsprognose jetzt schon zugrunde gelegten verkehrspolitischen Weichenstellungen über seine eigene Agenda weit hinausgehen, übergeht Wissing geflissentlich. Und warum es alternativlos ist, dass der deutsche Steuerzahler für die wachsende Logistik des Onlinehandels neue Straßenfläche bauen muss, erklärt er uns auch nicht.

Viele Bundesländer und Kommunen beginnen derzeit damit, eine an Klimaschutz und Lebensqualität orientierte Verkehrspolitik zu betreiben. In Bezug auf die Bundesregierung verstärkt sich der Eindruck, dass ihre Verkehrspolitik in Ziellosigkeit und Irrationalität versinkt.